New Ideas – Old Tricks

phoney dortmund

Band 156, August – Oktober 2001, Seite 379, Ausstellungen
Kunstforum
DORTMUND
Sven Drühl
New Ideas – Old Tricks
hARTware projekte, Dortmund, 11.5. – 1.7.2001

Die Fortschrittsgläubigkeit ist auf dem Höhepunkt angelangt. Allerorts wird von “global networking”, von Konsortien, Fusionen, kultureller Integration und dem Zulassen von Differenz geredet. In Wahrheit wird jedoch nur zugelassen, was sich dem System anpasst, d.h. Sieg des Kapitalismus auf ganzer Linie. Der angeblich so überaus weltoffene Nebenschauplatz Kulturaustausch gleicht dabei viel zu oft einer exotistischen Freakshow. Das vielgepriesene Andere ist in Wahrheit bloß da gefragt, wo es gerade nicht anders ist. In der aktuellen Ausstellung “New Ideas – Old Tricks” der Dortmunder hARTware projekte gehen die Kuratoren Hans Christ und dem neuen Heilsversprechen – der Globalisierung – nach und klären über ideologisch motivierte Lügen und verkrustete Strukturen auf. Aus diesem kultur- und gesellschaftskritischen Anspruch der Ausstellungsmacher leitet sich auch die Künstlerauswahl der Schau ab.

Dabei führt die computermanipulierte Hochglanz-Fotoserie von Catherine Chalmers die kulturimperialistische Einsicht von Fressen und Gefressen werden wohl am eindringlichsten und zugleich äußerst abgeklärt vor Augen. Eine Raupe frisst sich durch eine Tomate, schließlich fällt sie einer Gottesanbeterin und diese wiederum einem Frosch zum Opfer. Alles geht in allem auf. Die ewige Reproduktion der Machtverhältnisse. Nur auf die Sichtweise kommt es an.

Und diese thematisiert der Pseudo-Dokumentarfilm “Nicht löschbares Feuer” von Harun Farocki aus dem Jahr 1969. Der Künstler geht in seinem mit historischen Aufnahmen und gestellten Szenen versetzten Film der Frage nach, wie sehr die Sichtweise das Resultat/Produkt beeinflusst. Er lässt dazu nacheinander ein und dieselbe Person in verschiedenen Rollen auftreten. Der Arbeiter sagt, er stelle Staubsauger her, doch jedes Mal, wenn er versuche, die herausgeschmuggelten Teile zusammenzusetzen, käme eine Maschinenpistole heraus. Der Student sagt, er vermute, dass in der Fabrik Maschinenpistolen hergestellt würden, doch jedes Mal, wenn er zu Hause versuche, die Teile zusammenzusetzen, käme ein Staubsauger heraus. Wirklichkeitskonstruktionen prallen aufeinander, was “wahr” ist, bestimmt letztlich nur die Wahl der “richtigen” Perspektive.

Letztere, jedoch in Form eines speziellen Vorwissens, ist auch nötig, um das Fotobuch “Plan” von Betttina Lockemann und Elisabeth Neudörfl angemessen “lesen” zu können. Auf den durchgängig schwarz-weißen Fotos sind stets nur Häuser in Berliner Straßen und Grünanlagen zu sehen. Keine Bildunterschriften, geschweige denn Zusatzinformationen, klären über das Gesehene auf. Erst am Ende des Buches steht eine Liste, die die Orte als Stützpunkte und Verwaltungszentralen der Berliner Nationalsozialisten kennzeichnet. Beim nochmaligen Durchblättern verändert sich somit der Blick. Die neue Erkenntnis lässt die vormals neutralen Bilder in solche des imaginierten Grauens umkippen.

Um Wissen und Nichtwissen geht es auch in dem Dokumentarfilm von Peter Brosens, der ein Toten-Ritual einer fremden Kultur – eines Andenvolkes – vorstellt. Ein verstörender Beweis dafür, dass sich Interkulturalität noch längst nicht durchgesetzt hat. Das Fremde bleibt fremd. Missverständnisse auf der Rezipientenseite sind durch die befremdliche filmische Umsetzung vorprogrammiert.

Überhaupt geht es in der Dortmunder Ausstellung sehr stark um Haltung. So wird etwa eine von Jörg Schlick gestaltete Ausgabe der Kunstzeitschrift Camera Austria vorgestellt, in der sich der Künstler mit dem politischen Rechtsruck Österreichs und den Zukunftsaussichten eines solchermaßen FPÖ-beeinflussten Landes auseinander setzte. Seine Perspektive: er sieht schwarz und folgerichtig sind auch alle Seiten des Magazins schwarz bedruckt. Ein mutiges Statement angesichts der prekären ökonomischen Zwänge eines Kunstmagazins.

Dan Perjovschi, der Biennale-Vertreter Rumäniens , zeigt Teile seines Work-in-progress-Projektes “Wonderfull World”, welches aus unzähligen tagebuchartigen Zeichnungen zu politischen, gesellschaftlichen oder auch ästhetischen Themen besteht. Die Unterteilung in einzelne Blöcke wie “East Art” oder “new ideas – old tricks” gibt nur assoziativ eine Richtung vor, letztlich bleiben die skurrilen, z.T. von wunderbarem Zynismus zeugenden Blätter mehrdeutig.

Wie bei jedem hARTware-Projekt fehlt auch diesmal keineswegs der ansonsten kuratorisch eher stiefmütterlich behandelte Bereich der Netzkunst. Mit seiner Simulation “Phoney” spielt der spanischen Künstlers Daniel Garcìa Andùjar in gewohnt undurchschaubarer Weise das zentrale Instrument der Fortschrittsgläubigkeit und Globalisierung – das Internet – gegen seine unmündigen oder einfach inkompetenten Nutzer aus. Phoney ist auf den ersten Blick eine anscheinend normale Computersoftware, die dann jedoch auch dazu genutzt werden kann, subversiv bzw. kriminell tätig zu werden. In der vorgetäuschten Anonymität des Netzes werden so normale User zu enthemmten Schreibtischtätern einer völlig neuen Größenordnung. Hacker united – der Liebesvirus für alle. Wie gut, dass Phoney ein Fake ist, denn sonst gäbe es demnächst haufenweise Cyberterroristen.

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